Ooooohhh! I´m the happiest Christmas tree… ho ho ho, he he he…
Oh ja, das ist er. Der eine Sound, zu dem wir jedes Jahr nicht nur tanzen, sondern auch diese Art von Wortkombination, die sich in meinem Kopf festsetzt und leicht zwanghaft von meinem Kopf immer und immer wieder abgerufen wird. Ich mag den Song auf der einen Seite sehr, auf der anderen lässt er mich viele Wochen nach Weihnachten noch nicht los, was unter anderem auch anstrengend sein kann. In diesen Momenten stelle ich mir immer einen dunklen Raum vor, mit kleinen Teilchen weißer Materie. Ich atme tief ein und sehe vor mir, wie sich diese Teilchen zu einem großen, weißen, leuchtenden Ball zusammensetzen und beim Ausatmen explodiert dieser riesige leuchtende Zwerg. Der Raum ist wieder leer und schwarz und in meinem Kopf… herrscht wieder Ruhe.
Alle Jahre wieder… Ja, das ist das, was meinen Kindern und mir so sehr an Weihnachten gefällt. Alle Jahre wieder verbringen wir die Zeit damit, das Haus zu schmücken, unsere Lieblingskekse zu backen, unsere liebsten Weihnachtslieder zu hören und dazu zu tanzen. Wir basteln Weihnachtsgeschenke, öffnen jeden Tag den Adventskalender und sonntags riecht es im ganzen Haus nach frischgebackenen Waffeln. Natürlich haben wir auch unsere Regelmäßigkeiten und unsere Rituale in den anderen 11 Monaten. Doch der Dezember erlaubt es uns, alles umzustrukturieren, ohne dass es unseren Alltag ins Schwanken bringt. Denn – im Grunde werden wir seit Ende August langsam auf diese Zeit mit Lebkuchen und Co vorbereitet.
Es ist Oktober und endlich wird es wieder kühler und das grelle Licht der Sonne verblasst.
Puh! Geschafft! Lina und ich mussten Ben heute wieder besonders dazu ermutigen, das Haus zu verlassen. Manchmal ist er, was das betrifft, sehr unsicher. Es fällt ihm dann sehr schwer, seine Sachen anzuziehen, die Füße lassen es dann einfach nicht zu, dass er die Socken anziehen kann. Zu eng, zu weit, nicht der richtige Stoff. Oft verkrampfen sich seine Füße. Dann tritt er ganz feste mit den Versen auf den Boden und fängt an zu weinen. Aus Verzweiflung, denn er versteht oft selbst nicht, warum seine Füße mit den Socken schon wieder auf dem Kriegsfuß stehen.
Leicht geschwitzt verlassen wir das Haus… auf geht es zum Gartencenter!
Da stehen wir nun. Wir lieben dieses eine Gartencenter zu jeder Jahreszeit, doch ab Oktober fegt hier der
Weihnachtszauber durch die Hallen und eine erstrahlt ganz besonders in Glanz und Glitzer. Der dunkle Raum wird von den unzähligen Lichterketten erhellt. Tief einatmen… es ist schön, dass es hier nicht zu hell ist, trotz des ganzen Glitzer und Gefunkel ist es sehr angenehm. Es gibt verschiedene Bereiche, die auf eine oder zwei Farben beruhen, bzw. auf einen bestimmten Stil ausgelegt sind. Das gefällt Ben, Lina und mir besonders gut. Wir können somit den Rest ausblenden und werden nicht mit einer Schar an Dekoration in einem bunten Farbenmeer überschüttet. Lina ist vom Glitzer wie verzaubert. Es ist so wunderbar, sie so strahlen zu sehen, wo sie momentan so mit ihrer Körperwahrnehmung zu kämpfen hat. Sie ist wie in den Bann gezogen, denn sie hält eine kleine Figur in der Hand, einen Hirsch. Ihre kleinen, zarten Finger streichen immer wieder über seinen Rücken, doch der Zeigefinger drückt sich immer fester in das Fell, so dass ihre Nägel von dem Druck einen rötlichen Schimmer bekommen. Es wird ihr zu viel. Somit beuge ich mich zu ihr runter und versuche, Linas Augenmerk auf das glitzernde Geweih zu lenken. Glück gehabt, es hat funktioniert. Lina spürt ihren Körper oft nicht richtig
und sie beißt sich in einem überreizten Moment häufig in ihre Finger, Arme oder in die Knie. Heimlich, so dass es niemand mitbekommt. Doch die Spuren sind sichtbar und zum Glück bin ich in der Lage, es immer öfter zu verhindern, da ich ihre Grenzen kennenlerne.
Sie drückt den kleinen Hirsch fest gegen ihren Bauch und gibt ihm einen Kuss. Das macht sie auch gerne mit ihren
Kuscheltieren, es beruhigt sie. Und wo finden wir Ben? Natürlich bei den Lichterketten! Glaubt mir, es gibt nicht viele Menschen, die so fix sortieren können wie er. Wir schauen ihm zu, wie er die Verpackungen der kleinen LED-Lichterketten sortiert, denn ihn jetzt zu unterbrechen macht bei einem autistischen Kind einfach keinen Sinn. Lina schaut sich um. Es fällt auf, dass die Halle wirklich kaum besucht ist. Es ist Oktober, mitten in der Woche, am frühen Morgen! Nicht jeder verlegt sein Weihnachtsshopping in den Oktober. Doch für uns ist es somit erst möglich, ohne große Reizüberflutung das Geschäft zu verlassen. Es ist eine Wohltat, nicht im Gedränge stehen zu müssen, kein hektisches Gewusel – und die angenehme Lautstärke, himmlisch.
Es freut mich so sehr, dass meine Kinder diesen weihnachtlichen Zauber genießen dürfen. Ohne, dass Ben Gefahr läuft, einen Meltdown zu bekommen oder Lina sich unter einem Tisch versteckt, zusammengekauert, die Arme über die Ohren gelegt und nicht ansprechbar ist. Viele Gründe, warum wir bei uns hauptsächlich Geschenke oder auch Kleidung online bestellen. Warum wir samstagmorgens um 07.00 Uhr zum Einkaufen fahren, warum wir volle, laute Orte meiden. Doch einmal im Jahr, wird uns dieses besondere Shoppingereignis möglich.
Wir wünschen allen eine schöne herbstliche Zeit, mit ein klein wenig weihnachtlichem Zauber!
Liebe Grüße sendet Euch: „In deiner Welt, bin ich Zuhaus“, mit Ben (6 Jahre, Asperger-Syndrom), Lina (3 Jahre, V.a. Asperger-Syndrom) und Mena (36 Jahre, Asperger-Syndrom)